Page 26 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
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dass es Menschen gibt, die, obwohl sie von ihren Fami-
          lien nur Unterstützung und Gutes fanden, so hart sein
          können und darauf bestehen, ihnen so schlimme Tatsa-
          chen zu erzählen, die der Familie nur viel Schmerz für
          ihr weiteres Leben mitgeben. Aber an diesem Abend sah
          ich, dass Joshka und Bosci ihre Entscheidung getroffen
          hatten, und ich glaube nicht, dass irgendetwas sie davon
          abhalten hätte können, das Erlebte zu schildern.
            Bosci begann ihre Erzählung mit dem Moment, an
          dem sie nicht nur ihre eigene, sondern auch Joshkas Fa-
          milie, das heißt Großmutter Ethel, Regina und Helen mit
          ihrem Kleinkind namens Irene, in der Eisenbahnstation
          in Budapest sah. Dort wurden die ungarischen Juden ge-
          sammelt, um sie in die verschiedenen Lager zu verschi-
          cken. Ethels fünf Brüder waren auch dabei.
            Nach einer langen Wartezeit wurde der Zug, der nur
          aus Viehwaggons bestand, bereitgestellt. Mit Schlägen
          und Tritten wurden die Menschen gezwungen in diese
          Waggons einzusteigen. Diejenigen, die zu langsam waren
          oder versuchten wegzulaufen, wurden verprügelt. Mit
          Gewalt wurden so viele Menschen in die Waggons hin-
          eingepfercht, dass man kaum Platz zum Stehen hatte. Es
          gab weder Wasser, noch irgendetwas zu essen, und als
          der Zug nach langen und qualvollen Stunden endlich in
          Auschwitz einfuhr, standen alte oder kranke Menschen
          bereits tot, aber immer noch aufrecht auf ihren Plätzen.
          Sie waren derart eingezwängt, dass sie, als sie starben,
          nicht in sich zusammensinken konnten.
            Als der Zug stillstand, waren es wieder Soldaten, die
          die Gefangenen aus dem Zug trieben. Die Toten mussten
          in den Waggons liegen gelassen werden. Die Lebenden
          wurden dann in zwei Gruppen, getrennt nach Männer
          und Frauen, aufgeteilt. Helen war besonders hübsch. Ihr
          Kleinkind, Irene, wurde ihr aus dem Arm gerissen und
          meiner Tante Regina in die Arme geworfen. Helen aber
          wurde von zwei Soldaten weggeführt. Man befahl den
          übrigen dann, sich in einer Reihe anzustellen, um deren
          Namen zu registrieren. Alles, was man bei sich hatte,
          musste bei der Registrierung abgegeben werden. Bosci


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