Page 24 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
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schwammen, so war so ein am Tellerboden klebendes
          Stück  Brot ein wichtiges zusätzliches Nahrungsmittel,
          das man mit dem Zinnlöffel herausholen konnte. Darum
          schien dieser Löffel von unschätzbarem Wert.
            Beide, Bosci und Joshka, hatten nicht die Kraft, je-
          mals ihre Gedanken von ihren grässlichen Erlebnissen
          abzulenken. Sie waren untröstlich über die Ungewissheit
          des Schicksals ihrer Kinder und brachen immer wieder,
          wenn sie uns Geschichten über das Konzentrationslager
          erzählten, in Tränen aus. Sie wiegten sich in ihren Stüh-
          len hin und her und waren machtlos, ihre Trauer und
          ihren Schmerz auch nur für einen Moment zu vergessen.
          „Wo sind sie? Wo sind unsere lieben Töchter?“
            Unsere Zusammenkünfte am Freitagabend waren nun
          geprägt von vielen grauenhaften Gesprächsthemen. Wir
          sahen, dass wir weder im Stande waren, unseren Ver-
          wandten zu helfen, noch konnten wir sie dazu bringen,
          nicht mehr darüber zu sprechen. Wir waren jetzt immer,
          nachdem unsere Gäste uns verlassen hatten, deprimiert
          und verzagt. Auschwitz war das einzige Thema, über das
          sie sprachen.
            Wir waren traurig, dass sie so große seelische Wun-
          den mit sich trugen. Nun fragten wir den Mann meiner
          Schwester Stella, einen Psychologen und Leiter einer gro-
          ßen  psychiatrischen  Klinik in  Jerusalem,  wie wir  ihnen
          helfen könnten. Die Antwort war entmutigend. Gerade
          damals war er fast nur mit Menschen, die wie Joshka und
          Bosci aus den Konzentrationslagern kamen, konfrontiert.
          Er kannte unzählige Berichte wie die, die wir ihm be-
          schrieben und sagte uns, dass es nur einen Weg gäbe, um
          eine Besserung der psychischen Verfassung der beiden zu
          erreichen: Nämlich, wenn sie ihre Kinder wiederfänden.
          Nur dann könnten sie beginnen, ihre Erlebnisse in Ausch-
          witz zu verarbeiten. Nichts anderes könnte die beiden in
          ein normales Leben zurückführen, erklärte er uns.
            Mein Vater war derjenige, der jeden Freitag am meis-
          ten unter den Geschichten, die er hörte, litt. Er horchte
          aufmerksam zu, sein Gesichtsausdruck war trostlos und
          verhärmt. Joshka und Bosci sprachen von Folter, von den


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