Page 28 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
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schließlich auch mit infiziertem Wasser … alle … alle ka-
men um. Warum? Warum? Was haben wir ihnen getan?“
Er faltete seine Hände mit den verkrüppelten Fingern
und sprach ein kleines Gebet.
All dies war zu viel für meinen Vater. Er stand auf,
entschuldigte sich und sagte, er müsse sich ein wenig nie-
derlegen. Nach diesen Worten ging er mit meiner Mutter
in ihr Zimmer.
Bosci und Joshka hatten nun ihr Vorhaben, uns das
schreckliche Ende unserer Familie in Auschwitz zu er-
zählen, beendet. Jetzt wussten wir, was mit unserer Fa-
milie geschehen war. Aber ich sah nicht, dass die beiden
sich jetzt besser fühlten. Im Gegenteil, beide weinten viel.
Wir jedoch, die ja mindestens genauso betroffen waren,
konnten nicht weinen. Ich saß neben ihnen, und hatte
das Gefühl, dass ich nicht mit ihnen sprechen konnte.
Die Kehle schien mir wie zugeschnürt, und ich konnte
kein einziges Wort herausbringen. So endete der Abend,
und unsere Gäste fuhren zurück in ihr Heim nach Shikun
Shanghai.
Am nächsten Tag hatte mein Vater leichte Herzbe-
schwerden, von denen er sich aber rasch erholte. Wir
sagten Joshka und Bosci nichts, beschlossen aber, ihnen
mitzuteilen, dass wir ihre Erzählungen über Auschwitz
nicht mehr hören konnten. Es war einfach zu viel für uns.
Einige Monate vergingen, unser Haus war fertig ge-
baut, und wir versuchten, andere Gesprächsthemen zu
finden. Sie nahmen dies zur Kenntnis, aber die Abende
endeten immer wieder damit, dass beide über das Schick-
sal ihrer Töchter sprachen und viel weinten. Wir konnten
ihren Schmerz mitfühlen, aber doch nichts tun, um ihnen
zu helfen.
Bald danach, an einem Freitagabend, warteten wir ver-
gebens auf die beiden. Sie kamen weder an diesem Abend,
noch eine Woche später. Mein Vater war besorgt und
entschloss sich, zu ihrer Siedlung zu fahren. Er meinte,
dass sie vielleicht Hilfe benötigten. Als er dort ankam,
sah er, dass ihr Haus verschlossen war. Ihr Nachbar, ein
Pole, kam zu ihm und fragte meinen Vater, ob er „San-
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