Page 23 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
P. 23

dass es schwer für ihn war, uns zu verlassen. Bei uns
            fühlte er sich geborgen und gut aufgehoben, wie in einer
            zu ihm gehörenden Familie. Beide, mein Vater und er,
            hatten Verwandte in einer Welt getroffen, in der ganze
            Bevölkerungsteile und Familien ermordet worden waren.
            Man empfand es als furchtbar, war aber froh, sich wie-
            der gefunden zu haben.
              Nach dieser ersten, erstaunlichen Begegnung dau-
            erte  es nicht lange,  bis wir, meine  Eltern, Joshka und
            seine Frau Bosci, uns regelmäßig jeden Freitagabend in
            unserem halbfertigen Haus trafen und zusammen unser
            Nachtmahl  einnahmen.  Obwohl  Bosci  jünger  war  als
            Joshka, sah sie viel älter aus. Sie litt unter der Erinnerung
            an die grauenhafte Zeit, die sie in Auschwitz verbracht
            hatte, und konnte ihre große Sehnsucht nach ihren Kin-
            dern nicht verbergen.
              Wir hatten großes Mitgefühl und versuchten, sie ir-
            gendwie zu trösten, leider ohne Erfolg. Da nun wir ihre
            Familie waren, ließen sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie
            erzählten uns von all den schrecklichen Erlebnissen in
            Auschwitz. Wir hörten gespannt zu, da wir zwar öfter
            darüber gelesen, aber noch nie Berichte darüber von Au-
            genzeugen gehört hatten.
              Joshka und Bosci berichteten uns, dass man ihnen nach
            ihrer Ankunft in Auschwitz ihre Kleider weggenommen
            hatte, ihre Köpfe rasiert und man ihnen Fetzen als Klei-
            dungsstücke gab, und dass die Hosen, die die Männer
            tragen mussten, keine Gürtel hatten. Man musste sie mit
            der Hand halten, damit sie nicht hinunter rutschten. Sie
            durften auch ihre Schuhe nicht behalten, sondern muss-
            ten sie gegen Holzschuhe eintauschen. Die Häftlinge wur-
            den gezwungen, diese zu tragen, egal, ob sie passten oder
            nicht, man hatte sich damit abzufinden. Bosci erzählte
            auch, dass es keine Waschgelegenheiten gab. Joshka be-
            schrieb die bitteren Streitereien, die wegen eines billigen
            Zinnlöffels aufkamen, den man benutzen   konnte, um
            auch die letzten Krumen der Nahrung vom Teller abzu-
            kratzen. Wenn die ganze Nahrung, die man bekam, aus
            einem dünnen Brei bestand, in dem kleine Stückchen Brot


                                                            103
   18   19   20   21   22   23   24   25   26   27   28