Page 18 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
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Unser erstes und größtes Problem war die Nahrungs-
          beschaffung. Es waren nicht genug Lebensmittel da, um
          so viele Menschen zu ernähren. Jeder neue Einwohner
          erhielt einen Bezugsschein des Staates und musste, so
          gut es ging, mit dieser Ration auskommen. Es war nicht
          leicht, aber es blieb nichts anderes übrig als diese Schwie-
          rigkeiten zu meistern. Die allgemeine Stimmung war gut,
          wir waren voller Hoffnung, hatten die schrecklichste
          Episode des Jahrhunderts überlebt und endlich eine Hei-
          mat, die Israel hieß.
            In der Nähe unseres halbfertigen Hauses gab es eine
          neue Siedlung, in der viele Flüchtlinge der von den Nazis
          besetzten Länder lebten. Unter ihnen waren viele, die das
          Glück hatten, in unbesetzten Ländern unterzukommen,
          nachdem die Nazis mit der Verfolgung der jüdischen Be-
          völkerung begonnen hatten. Die Flucht war zur Zeit des
          Nationalsozialismus in Europa der einzige Weg, dem Ho-
          locaust zu entkommen. In den besetzten Hauptstädten
          konnte man hunderte und aberhunderte von Männern
          und Frauen sehen, die das gelbe Abzeichen mit dem „J“
          trugen. Sie alle stellten sich vor Konsulaten der verschie-
          denen Länder, die noch nicht von der deutschen Wehr-
          macht besetzt worden waren, an, um für sich und ihre
          Familien ein Einreisevisum zu erhalten. Ohne ein solches
          Einreisevisum erlaubten die deutschen Machthaber nie-
          mandem,  das  Land  zu  verlassen.  Manchmal,  nachdem
          man gezwungen wurde, das gesamte Hab und Gut den
          Nazis zu überschreiben, geschah es, dass man das Glück
          hatte, eine Ausreisebewilligung zu erhalten. Die meisten
          aber wurden verhaftet, oft ohne jeden Grund misshandelt,
          gedemütigt und schließlich in eines der Vernichtungslager
          des Naziregimes verschickt. Für den Transport von Juden
          benützte die Wehrmacht nur Eisenbahnwaggons, die für
          Viehtransporte gebaut worden waren.
            Viele verzweifelte Menschen flüchteten zu dieser Zeit
          auch nach China. Sie wurden in Shanghai aufgenom-
          men, lebten und arbeiteten dort einige Jahre, wollten
          aber nach dem Krieg nach Israel kommen, um ein neues
          Leben zu beginnen. Ihre Heimreise wurde von der israe-


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