Page 13 - Leseprobe - Vom Brot im Meer
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Fabrik in Temesvar und lebte fast die ganze Zeit dort.
            Meine Mutter verbrachte abwechselnd drei Monate in
            Temesvar mit meinem Vater und drei Monate mit uns
            in Baden. Während ihrer Abwesenheit blieben meine
            Schwester und ich entweder in einem Mädchenpensionat
            oder aber mit Gouvernante und Köchin im Haus in Ba-
            den, um unsere Schule weiter zu besuchten.
              Stella und ich waren beinahe erwachsen, als die deut-
            schen  SS-Truppen  in  Wien  einmarschierten.  Unsere  El-
            tern waren zu dieser Zeit in Rumänien. Im März 1938
            war ich zufällig auf Besuch bei Verwandten in Wien. Zu-
            sammen mit ihnen musste ich mitansehen, wie die deut-
            schen Truppen mit Fahnen und ihren aufhetzenden Lie-
            dern unter großem Jubel der Bevölkerung Wiens in die
            schöne, alte Stadt einzogen.
              Wir sahen uns entsetzt an. Keiner von uns sagte ein
            Wort. Ich hatte furchtbare Angst und beschloss für mich,
            meinen geliebten Wohnort in Baden aufzugeben. Es war ein
            sehr schwerer Entschluss. Ich liebte unser Haus in Baden
            mit dem schönen großen Garten sehr und ich konnte mir
            eigentlich kein Leben irgendwo anders vorstellen. Ich war
            so verzweifelt, dass ich nur zurück „nach Hause“ wollte.
            Auch Stella, die ja schon verheiratet war und ein Klein-
            kind hatte, wollte zu ihrer Familie. So sagte ich unseren
            Verwandten, dass ich möglichst schnell zu meinen Eltern
            nach Temesvar fahren wollte, weil ich mich fürchtete. Ich
            erwartete keine schöne Zukunft für uns Juden. Tante The-
            rese, die Witwe meines Großvaters, sprach eine Einladung
            zu einem Abschiedsessen aus, die wir gerne annahmen.
              Tante Therese und ihre Schwester Ida waren zwei alte
            Damen, die mit ihrer Freundin Rosie im 2. Bezirk in Wien
            in einem alten Haus wohnten. Therese war die zweite Frau
            meines Großvaters mütterlicherseits. Ihr Mädchenname
            war „Mittler“ und Großvater Lefkovitz hatte uns Kindern
            vorgeschlagen, sie „Tante“ zu nennen. Jetzt war sie schon
            seit einiger Zeit Witwe. Sie verließ Belgrad nach dem Tode
            meines Großvaters und kam zurück in ihre Heimatstadt
            Wien, um mit ihrer Schwester Ida zu wohnen. Sie  brachte
            ihre beste Freundin, Rosie, auch eine Wienerin, mit. Die


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