Page 22 - Fliegen mit geflickten Flügeln
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ter und ich waren auch unglaublich stolz auf ihn, weil er bei
              den Mozart Sängerknaben gesungen hatte. Es hatte natürlich
              auch negative Erlebnisse während Wasjas Kindheit gegeben, so
              wurde er zum Beispiel beim Hausübungsschreiben in Maschi-
              neschreiben und Textverarbeitung für Mitschüler erwischt, wo
              er zum Glück mit einer Ermahnung davonkam. Im Alter von
              22 Jahren war er bei einer EDV-Firma tätig, weshalb er nach
              Villach (Kärnten) versetzt wurde. Es war keine Strafversetzung,
              sondern das Angebot, als sehr guter Verkaufsberater im neuen
              Superstore in Villach Filialleiterstellvertreter zu werden.
                Und dann passierte es … und vielleicht sollte das aus irgend-
              einem Grund passieren? Ein Telefonat, ein Anruf seiner Freun-
              din aus Villach. Sie weinte, ein Unfall, ein Fehler am Steuer,
              Auto Totalschaden, Herzstillstand, Spital … alles in allem ein
              scheinbar hoffnungsloser Zustand.
                Klagenfurt. Intensivstation Süd. Ein Patient zwischen Leben
              und Tod. Wasja feiert seinen vierundzwanzigsten Geburtstag im
              Koma. Niemand wusste, ob er überhaupt überleben wird. „Die
              Zeit wird es zeigen“, war von Tag zu Tag die Auskunft der Ärz-
              te. Irgendwann hatten wir aufgehört zu fragen. Wir hatten auf
              einmal genug Zeit, neben ihm zu sitzen und sein schnelles Leben
              zu rekapitulieren. Mir wurde klar, dass die Zeit nicht weiterlief
              für Wasja. Es folgten viele Operationen, eine nach der anderen,
              aber sie hatten scheinbar nichts verbessert oder verändert. Nach
              wie vor, er bewegte sich nicht, sah nicht, sprach nicht, kannte
              uns nicht und das Schlimmste war, sich selbst auch nicht!
                Wir hatten ständig etwas erwartet, aber in Wirklichkeit kann
              ich bis heute nicht sagen, was es eigentlich sein sollte. Eine Ver-
              besserung hatten wir Tage, Wochen, Monate kaum bemerkt,
              aber trotzdem, das kleinste Zeichen von Verbesserung war ein
              großes Stück neuer Hoffnung für uns. Er war scheinbar nicht
              da, nicht „geistig anwesend“, dabei hatte sich alles um ihn ge-
              dreht. Er war ein vierundzwanzigjähriges Baby, ein trauriges
              Baby, still, unbeweglich, ein großes Baby.


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