Page 24 - Fliegen mit geflickten Flügeln
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es war nicht leicht, wir mussten uns erst kennenlernen. Ich
musste wieder abreisen nach Berlin, wo meine Tochter bei einem
Nachbarn geblieben war. Als ich wieder nach Wien kam, hatte
sich Wasja weiter verändert. Er hatte ununterbrochen gegessen,
weil er sein Sättigungsgefühl verloren hatte und scheinbar im-
mer hungrig war. Das nächste Mal hatte er echte Wutanfälle be-
kommen, dann hatte er gezittert, gezuckt, war depressiv, traurig
… und dann war sein Bett leer. Ich hatte mir wieder gedacht,
dass er es nicht geschafft hatte.
Aber sie hatten ihn ins RZ Meidling übersiedelt. Als ich dort
die anderen Patienten gesehen hatte, war ich selber nicht nur
depressiv geworden, nein, hoffnungslos. Alle meine Hoffnungen
und Wünsche in Bezug auf Wasja, der im Rollstuhl war, mit ver-
rücktem Blick dasaß und ins Leere blickte, waren auf Anhieb
begraben. Im Augenblick wurde mir klar, dass mein Sohn, unbe-
kannt oder bekannt, ein Pflegefall war und dass ich mich um ihn
kümmern musste, wenn ich ihn retten wollte. Dann bin ich nach
Berlin abgereist, um alles aufzulösen. Ich habe die Wohnung
gekündigt, mein Kind Paula aus der Schule genommen und war
mit ihr, dem Hund und einem Täschchen nach Wien zurückge-
kehrt, um mich um meinen Sohn zu kümmern. Einige Monate
war ich täglich im RZ Meidling. Es wurde in winzigen Schritten
besser, aber von „gut“ weit entfernt.
Im und auch nach dem RZ folgten laufend Therapien und ich
versuchte es überall, wenn ich hörte, dass ihm etwas helfen könn-
te. In Therapiezentren, Musiktherapie, in Kirchen, Bioenergetik,
Erbsen von Buddhisten … ich weiß … er weiß … Gott weiß.
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