Page 23 - Fliegen mit geflickten Flügeln
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Nach acht Wochen wurde er mit einem Helikopter nach Wien
           transportiert, vorher war er nicht transportfähig. Als der Heli-
           kopter da war, legten sie ihn auf die Trage mit vielen Atmungs-
           und anderen Geräten. Ich sah ihn an und dachte, dass er gestor-
           ben sei. Mit Folie war er zugedeckt und es sah ganz danach aus.
           Dann erinnere ich mich an Türen, glänzende Gänge, Ärzte, eine
           große Leere rund herum. Ich wollte jemanden der Zuständigen
           etwas fragen, hatte es nicht gemacht. Wollte bei meinem Sohn
           sein, hatte mich nicht bewegt.
             Später, viel später, kam ein Putzmann, der die Terrassentür
           des letzten Stockwerkes schließen sollte. Er kam zu mir, weil
           etwas mit mir nicht in Ordnung war. Nichts war in Ordnung!
             Manche Dinge passieren nur ein einziges Mal im Leben, aber
           die Folgen bleiben ewig. Man darf keinen Moment aus dem
           Griff verlieren, denn dann kann man die ganze Zukunft verlie-
           ren, den Kontakt mit Tag und Nacht, mit drinnen und draußen,
           Jahreszeit, Familie, Freunde, Bekannte, mit sich selbst.
             Es war die schlimmste und gleichzeitig schwerste Zeit meines
           Lebens, weil ich mit meiner achtjährigen Tochter Paula in Ber-
           lin gelebt hatte. Sie war dort in die Grundschule gegangen und
           ich reiste alle paar Wochen nach Wien und wieder zurück. Ich
           musste auch darauf schauen, dass meine Tochter nicht zu viel
           alleine ist.
             Die Ärzte hatten gesagt, Wasja wird wahrscheinlich gelähmt
           bleiben, mit Inkontinenz, Sprachstörung, blind … Mit Gottes
           Hilfe hatte er sich am 24. Dezember endlich aufgerichtet. Es
           war wie ein Weihnachtswunder. Mich erkannte er nicht und
           sprach nur Englisch. Er war dünn wie eine Spindel, die Stimme
           war mir komplett fremd und optisch war er für mich auch eine
           fremde Person. Er sah anders aus, nicht nur die Augen, die Zäh-
           ne, die neue Nase, das Kiefer … sein ganzes Wesen war mir neu.
           Ich hatte mich immer wieder gefragt: Wo ist mein Sohn Wasja
           geblieben?
             An den Ersatzmenschen musste ich mich erst gewöhnen und


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