Page 21 - Leseprobe - Überfahrene Lebenswelt
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Geografische Lage und Besonderheiten des Kanaltales
dass sich heute im Dreiländereck die Staatsgrenzen mit den Sprachgrenzen
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weitgehend decken.«
So muss bei allen Volkszählungen im Kanaltal, in Kärnten – und
hier besonders in der Zeit kurz vor dem Ersten bis nach dem Zweiten
Weltkrieg – dieser eben genannte Aspekt der Sprache als volkskonstitu-
ierender Faktor, der verabsolutiert und dadurch verfälscht wurde, be-
achtet werden. Der problematische Punkt dabei ist die Politisierung der
verschiedenen Sprachen in ihrer Wichtigkeit und ihrer angeblichen
Rangordnung innerhalb der in diesem Tal lebenden unterschiedlichen
Menschengruppen.
»Traditionell war die deutsche Sprache das Symbol sozialer Höherwer-
tigkeit, und auch all jene, die die Chance des sozialen Aufstiegs wahr-
nahmen oder wahrnehmen wollten, neigten der deutschen Sprache, sowohl
wegen ihres Symbolwertes als auch wegen ihrer höheren Funktionalität zu.
Im nationalen Differenzierungsprozess wurde dieser Bevölkerungsteil zu-
nehmend zu Deutschen. Das liberale System hatte ihnen … die politische
Mitbestimmung gesichert. Diese wollten sie sich nicht mehr nehmen las-
sen und möglichst auch gegen deren Ausdehnung auf die unteren sozialen
Schichten absichern.«
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In diese Veränderung der Sprachbedeutung auf Grund politischer
Ein- und Zuordnungen ist auch die Entwicklung der slowenischen
Sprache hin zum Windischen im Kanaltal und in Südkärnten zu se-
hen. So galt dieses Windische als eine Sprache, die sich dem Deutschen
annähere. Die Slowenen wurden animiert, diesen Dialekt zu sprechen
und sich auch dazu und somit zu den „guten“, den „friedlichen“ Slowe-
nen – also zu Windischen – zu bekennen, womit gerade bei der Kärnt-
ner Volksabstimmung im Jahr 1920 die Sprache als stark politisierende
Kraft eingesetzt und relevant wurde.
Zudem wird an diesem Beispiel auch deutlich, wie das sprachliche
Auseinanderdifferenzieren zur Zerstörung einer Volksgruppe führen
kann.
Auch bei der hier (Abb. 5) angeführten Erhebung, der österreichi-
schen Sprachzählung von 1910 gilt es, die genannten Kriterien zur kri-
tischen Einschätzung mit heran zu ziehen.
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