Page 16 - Leseprobe - Traude Veran - Gedanken Reisen
P. 16
Der Kreis schließt sich
Nach der Pensionierung plante ich, wieder nach Wien zu zie-
hen. Für die Wohnungssuche wollte ich mir jeweils die Sams-
tagszeitung kaufen, aber gleich am ersten Samstag regnete es in
Strömen. Als kurz vor Mittag doch noch die Sonne durchbrach,
holte ich mir das Blatt, schlug es auf – und mein Blick fiel auf
eine vielversprechende Anzeige.
Ich fuhr sofort hin und fand eine bezaubernde Währinger Woh-
nung vor, an allen Wänden Bilder eines meiner Freunde, des
Malers Franz Hametner . Er war für die Bewohnerin eine Art
1
Ersatzvater in schweren Zeiten gewesen; so entstand die erste
Gemeinsamkeit.
Und so die zweite: Der Freund der Frau hatte im Oberwarter
Krankenhaus, wo ich alle Leute kannte, diverse Einrichtun-
gen installiert. Wir hechelten genussvoll die Spitalsbelegschaft
durch. Damit war ich aus über 200 Bewerberinnen und Bewer-
bern für die Wohnung ausgewählt.
Bedenken bestanden wegen der Hausbesitzerin, sie Schulleite-
rin und ich Psychologin, das verträgt sich nicht immer. Bald
stellte sich aber heraus, dass eine mir gut bekannte Schulpsy-
chologin ihre beste Freundin war.
Noch hatte ich gar nicht registriert, wo genau die Wohnung lag,
nur dass ich in dieser Gegend einst die Kindheit verbracht hatte.
Beim ersten Spaziergang stand ich nach wenigen Metern vor
meiner alten Volksschule. Der indiskrete Blick durchs Fenster
zeigte mir einen Direktor, der mir bekannt vorkam: Wir hatten
miteinander studiert. Fröhliches Wiedersehen!
Nicht zweimal
derselbe Fluss – wohl aber
dasselbe Ufer
14