Rezension Erich Schirhuber – versvermessung
Die Texte seines neuen Lyrikbandes hat Rudolf Kraus auf ein stabiles Zahlengerüst aufgebracht: Da gibt es die vertrauten Siebzehnsilber in drei Zeilen, Haikus also, die ja gemäß eines seiner früheren Bücher gut schmecken, aber auch Tankas. In der Folge wird mit den Silben immer mehr gespart, schließlich können auch nur drei oder vier Worte ein Gedicht ausmachen. Zum Ende des Buches hin beginnt Kraus wieder ein bisschen zu urassen – gleich sieben Zeilen umfasst „baumsilber“ (S. 87):
baumsilber
baumschneider
baumkraxler
baumgartner
kein baum im ozean
wie macht der fisch
kein orca zitiert max frisch
Nun soll man Lyrik bekanntlich nicht mit der Küchenwaage oder einer Stricherlliste bewerten, geht es doch vordringlich darum, was zwischen den Wörtern und zwischen den Zeilen steht – dort, wo sich der Leser/die Leserin ihren eigenen Reim machen kann und gleich den Gefangenen in Nabucco „va pensiero, sull’ali dorate“ anstimmen.
Diese so induzierten Gedanken fliegen über ausgedehnte Felder, und deren Grenzpflöcke sind weit gesteckt: von einem See der Traurigkeit, den man gut kennen mag oder auch weniger gut, bis ans Ortsschild des Städtchens Calau.
Zwei Eckpfeiler dieser verdichteten Landschaft (S. 55 bzw. S. 93):
keine zeit
für die ewigkeit
ihr verzeiht
shakespeare trank schankbier
hamlet oder nicht king lear
warmes ale aus wales
Ergänzt hat der Autor seine Gedichtsammlung mit eigenen Fotos aus Natur und Kultur: Tümpel, Gräser, Straßenschluchten, Ottakringer-Dosen. Demgegenüber unterstreicht Armin Baumgartner in seinem kundigen Nachwort die Bedeutung von Zahlen und namentlich von Primzahlen – die 17 Silben des Haiku und die 31 des Tanka sind ja solche –, für die Literatur im Allgemeinen und für die Arbeit von Rudolf Kraus im Besonderen.
Ohne nun meinerseits die Riemannsche Vermutung zu bemühen, möchte ich sagen: Ob seiner knappen Form könnte man den Band wohl in der Schnellbahn zwischen Liesing und Süßenbrunn durchblättern, doch wäre dies weder angemessen noch ratsam – vielmehr frommt es der Leserschaft, sich mal von dem einen, mal von dem anderen Gedanken anstoßen zu lassen und dort, wo dies angezeigt – und von Rudolf Kraus wohl auch so gewollt – ist, zu schmunzeln oder unbekümmert zu lachen.
Erich Schirhuber (2025)