GEGENWARTSLITERATUR 2318
tausend tode könnt' ich sterben
Sprachminiaturen sind treffsichere abgerundete Fügungen, die sich wie Gebilde mit Widerhaken auf dem Filz des Alltags festsetzen.
Rudolf Kraus setzt mit dieser feinen additiven Methode, wo überraschende Wendungen wie Magnetsteine auf die Fläche gesetzt werden, durchaus großen Themen zu wie dem Tod. Nicht nur das nicht Voraussehbare, „wie wird denn wohl mein Tod ausschauen?“, spielt eine Rolle, sondern manche Ereignisse spitzen sich schon zu Lebzeiten so dramatisch zu, dass ihnen der Tod den Deckel drauf setzen muss. So kümmern sich die Sprachminiaturen nicht nur um die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, sondern mindestens so heftig um die Ars vivendi, die Kunst des Lebens.
Das eigene Leben, das Lesen und Schreiben der Dichter, die abgehangenen Gedanken in den Regalen sind Koordinaten, an denen die Miniaturen andocken. „ostwärts // wenn sie alt werden / die dichter / wendet sich ihr blick / gegen osten / wie wenn / dort / die vergangenheit / zu hause wär / oder / eine ausgestorbene rabenart / väterchen frost und / vielleicht / sogar der tod“ (13) „in jedem regal / der bibliothek bücher / nur das eine nicht“ (53)
Oft ist es ein frühlingshafter Überschwang, der die Gedanken geradezu hinausschickt ins frisch erweckte Leben, jung und wild zu jeder Gedankenrauferei bereit. „geradeheraus // meine gedichte / trinken nicht stetig / doch wenn / dann weit / über den durst hinaus // ganz verwegen / sind sie dann / und legen sich mit jedem an / selbst wenn es / der teufel / persönlich ist“ (59)
Dann ist es die Klage des Alltags, wenn die Depression sich ungefragt an den Frühstückstisch setzt. „als ich zu weinen wagte // immerzu dachte ich / an die entbehrungen / enthaltungen und / enttäuschungen / meiner kindheit / ohne zu merken / dass es / eigentlich / die beste zeit meines lebens war“ (9)
Rudolf Kraus hat seinen Miniaturen Texträume zugewiesen, worin sie miteinander kommunizieren, ehe sie dem Leser als lyrischer Disput gegenübertreten – „memento mori | ars moriendi / ars vivendi | sieben haiku | wiener melange | fundstücke / stückwerk“.
In seinem Nachwort erklärt Armin Baumgartner, was für ihn diese Lyrik unverwechselbar macht. „Ich mag das Spielerische, den manchmal naiven, kindlichen Zugang, die einfachen Wörter, die, richtig gesetzt, vielleicht auch erst im Nachhall eine wuchtige Bedeutung erlangen, ich mag das schlicht Verwobene, das mich über Umwege zu neuen Erkenntnissen führt.“ (75)
Helmuth Schönauer 04/12/14