Peter Wawerzinek über ‚Vom Brot im Meer‘

Kategorie: Rezensionen
Nein, diese Hundertjährige steigt nicht aus dem Fenster und verschwindet wie bei Jonas Jonasson. Diese Hundertjährige schreibt ihr erstes Buch und nimmt ihre Leser nicht nur bei den Händen, sondern schreitet uns voran auf ihrem Lebensweg. Und legt dabei ein so umwerfendes frisches Debüt hin, dass man lesend jubelt.
So inhaltsschwer wie inhaltsschön und ganz ohne jede Übertreibung oder Propaganda. So bündig und kurz wie gnadenlos gerecht und hart es nur geht, werden hier Fakten zum Jahrhundert europäischer Ausgrenzung, Verfolgung, Auslöschung, Vertreibung, Krieg und Völkermord aus eigenem Erleben beschrieben.
Und das so angriffslustig wie verhalten es sich im Ton für eine ewig junggebliebene neue Autorin gehört, die im ruhigen und dadurch erst so richtig anklagenden Erzählton zu uns spricht, uns anrührt und wütend sein lässt.
Sich treu und der simplen Wahrheit verpflichtet, die da heißt: So und nicht anders erging es mir, schreibt sie dabei so weise wie ergreifend poetisch, so lebenserfahren kraftvoll, dass es ganz und gar einmalig in der Literatur ist. Und ist dabei auch immer einmal wieder das Quäntchen nachsichtig und milde gestimmt wie es nur diese Hundertjährige sein darf.

 

Peter Wawerzinek, Träger des Ingeborg-Bachmann-Preises