Alfred Woschitz
Nur noch zwölf Tage
Erzählung
€ 23,90
100 Seiten
Klappenbroschur
978-3-903442-58-0
Der Autor war nach dem verheerenden Erdbeben vom Dezember 1988 in der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien als Projektleiter für westliche Hilfsorganisationen tätig. Im Zuge dieses Einsatzes kam es zu unerwarteten Ereignissen auf einem Flug aus dem Erdbebengebiet nach Moskau. Die Maschine, die ihn und zwei weitere internationale Koordinatoren nach Moskau bringen sollte, war unerwartet zweimal zu einer Zwischenlandung gezwungen, einmal davon in Wolgograd, vormals Stalingrad.
Während des erzwungenen Aufenthaltes in Wolgograd kreuzten sich auf mystische Weise die Lebenswege des Autors mit dem seines namensgleichen Onkels Alfred Woschitz, der seit 1943 in Südrussland als vermisst galt.
Sein Onkel starb zwölf Tage vor seinem 20. Geburtstag bei Stalingrad. Der junge Soldat wurde zuvor in Russland schwer verletzt, nach Klagenfurt in ein Heeresspital gebracht und mit unverheilten Brandverletzungen wieder zurück an die Front geschickt. Sein Jugendfreund und Nachbar, ein überzeugter Nazi, hatte die neuerliche Verbringung an die Front angeordnet, die den Tod des jungen Mannes bedeutete.
Alfred Woschitz, der nach seinem Onkel benannt ist, hat für dieses Buch den eigenen Kindheitserinnerungen nachgespürt, noch lebende Zeitzeugen befragt, und das Schicksal seines Onkels anlässlich dessen 100. Geburtstages auf eindrückliche Weise nachgezeichnet.
„Erschrecke doch, du allzu sichre Seele!“ (BWV 102)
Gedanken über das Trauern, Schweigen und Verdrängen
„Nicht darüber sprechen zu können“, war das Schlimmste. „Schweigen und Verdrängen ist die erste Reaktion, irgendwann muss man aber darüber, was passiert ist, reden, nur dann kann man das alles verarbeiten.“ (Edda Schwarz in: Bernhard Gitschtaler, Ausgelöschte Namen S.92)
Was kann es Befreienderes geben als zu erfahren, wer man wirklich ist. Allerdings nicht allein definiert durch ein landschaftliches Woher und räumliches Beheimatet sein, sondern auch als das soziale Wesen, das man idealtypisch sein möchte und zu dem man schließlich geworden zu sein glaubt. Das Wissen über die Umstände, die einen zu dem Menschen gemacht haben, der man ist, geht einher mit der das Bewusstsein verändernden Frage, was auch an Verdrängtem und Unbewussten den Menschen leitet.
Die Antwort liegt im guten Fall in einer beständigen Suche danach.
In diese Haltung fügt sich die kleine, bewegende Erzählung über die vier Söhne der Bauernfamilie Woschitz und eines ihrer Nachkommen. Unter dem Eindruck erstickter Tränen und verstummter Schreie nimmt sich Alfred Woschitz – wie es scheint, einer inneren Verpflichtung folgend – ganz im Sinne der von Alexander und Margarethe Mitscherlich beschriebenen These von der Unfähigkeit unserer Großeltern und Eltern zu trauern – des erlittenen Leids seiner Familie an, um einen Fuß in die Tür der dunklen Räume des Verdrängens und Vergessens zu stellen, und das Geschehene zu erhellen, sichtbar und begreifbar zu machen. …
Axel Karner